…Das reizvolle an dieser Platte ist u.a. das konsequente Weiterexperimentieren mit neuen Klangbildern. - Insgesamt 35 Gastmusiker! Und trotzdem bleibt es ihre (des Duos Piatkowski /Rieck) Musik und ihr Stil: leise und eher verhalten, die Herkunft vom Folk nicht verleugnend.
Interessant, moderne Balladen und Lieder ohne Rockszenario zu hören… Am besten gefallen mir das Lied über den Großvater Wolfgang Riecks "Hans ohn Glück", der im 1. Weltkrieg in Frankreich gefallen ist und "De Appel" von Erna Taege-Röhnisch. Insgesamt eine Platte, die mit Hilfe der Textbeilagen auch von Süddeutschen verstanden werden kann und die musikalisch sehr gelungen ist.
Hans-Günther Vogel in FOLK-MICHEL 4 / 1988
Eine wunderschöne Schallplatte
Volksmusik macht diese beiden nicht zu volkstümlichen Weisenknaben, ein Antikriegslied nicht zu verbissenen Faustballern, das Mecklenburger Platt nicht zu platten Sprachleerern.
All diese Stolpersteine souverän überspringend schufen Joachim Piatkowski und Wolfgang Rieck mit UTKIEK aus 14 eigenen und geborgten Liedern eine wunderschöne Schallplatte.
Was die Anleihen betrifft: Das bezwingend einnehmende Wesen norddeutscher Mundart lässt mich fest glauben, daß nicht, wie angegeben, Woody Guthrie das Kinderlied „Kum un führ mit min Auto“ erfunden hat. Das klingt so echt und zeitlos, als wäre es einer aus Mecklenburg gewesen, und zwar Jahrhunderte vor der Erfindung des Kfz-Ersatzteils…
… Denn Piatkowski/Rieck sind Stimmungsbildner, keine Stimmungskanonen. Überhaupt ist ihnen gegen Kanonen unüberwindliche Abneigung anzuhören. So haben sie die Ballade „De dree Suldaten“ dem Barlachschen Ehrenmal für die Gefallenen des ersten Weltkriegs nachempfunden. Mit ebensolcher rauhen, aufkratzenden Eindringlichkeit bietet sich „Hans ohn Glück“ dar – Wolfgang Riecks ganz familiäre Vergangenheitsbewältigung. Wie er selbst mit einem exzellent gesprochenen Vortext in dieses Lied einführt, schon allein das erzeugt Intimität. „Kiekut“ erkundet behutsam Lebenssinn, eine Liedermacher-Ethik derart: „So will ik nu vun mi gewen,/dat vun mien Don later wat blifft.“
Was ins Hochdeutsche übersetzt etwa heißt: Ich will so musizieren, daß außer Spesen doch was gewesen ist. Vorerst bleibt davon ein herrlicher „UTKIEK“, der noch weitere Freuden bietet. Viel Besinnlichkeit ohne Sentimentalitäten und zwei Schlaflieder, deren düsterer Zauber alles, nur kein Faustan ersetzt. Arrangements, die ähnliche Töne zu erregender atmosphärischer Vielfalt verarbeiten…
Und die Plattentasche! Alle 36 Gastmusiker sind aufgelistet, drei die Künstler inspirierende Barlach-Plastiken abgebildet. Dazu ließ AMIGA auf der Innenhülle neben den plattdeutschen Texten einige Worterklärungen abdrucken. Wenn man die Lieder auch ganz ohne versteht, erhält man doch eine Sprachlektion gratis. – Wat blifft, is een lütten Ratslag: Kiek ut nah UTKIEK
Andre Mielke in EULENSPIEGEL 14 / 1988
Von tiefem, fast grüblerischem Ernst gekennzeichnet
Oft bleibt dann ein Rest von Unzufriedenheit zurück, wenn man den Text mancher Lieder nicht bis ins letzte hinein fassen kann. Und obschon auch die Lieder des Duos Joachim Piatkowski/Wolfgang Rieck demjenigen, der außerhalb des mecklenburgischen Mundartenraumes aufgewachsen ist, nicht Aufschlüsselung Wort für Wort garantieren, ist es bei ihnen doch anders.
14 Lieder, allesamt in „Plattdeutsch“, vorwiegend von den Interpreten geschrieben…
Aus naheliegenden Gründen fühle ich mich nicht kompetent, die poetischen Gewinne und Defizite zu bestimmen, dennoch weiß ich, welche Sujets mich am meisten interessiert haben, wenn nicht gar gefesselt… Meine Favoriten nun sind jene fast schwermütigen Lieder gegen den Krieg, „De dree Suldaten“ (angeregt von Plastiken Ernst Barlachs) – jene Geschichte von drei jungen Soldaten, die Vater und Mutter nie wieder gesehen haben… - und „Hans ohn Glück“, gewissermaßen ein Nachsinnen von einer Ich-Position aus über die Lebenschronik einer Familie, in der der Krieg und durch ihn verursachte Tod eine bestimmende Rolle spielten. Beide Lieder hat Wolfgang Rieck geschrieben, beide sind von tiefem, fast grüblerischem Ernst gekennzeichnet, dem sich bei „Hans ohn Glück“ große Betroffenheit beimischt. Man ist – warum eigentlich? – erstaunt, welche intime Nähe und Intensität die erzählten Geschichten durch die mecklenburgische Mundart gewinnen. Man behandelt sie wohl oft so, als tauge sie nur für Gemütvolles, für humorigen Snack, als eigne sie sich schlecht für Transport von Tragischem und gar Pathos. Natürlich macht auch die Wärme und Modulationsfähigkeit der Stimmen Piatkowskis und Riecks, daß diese Geschichten so berühren…
Jens Naumilkat, der als Arrangeur dieser LP für etliche schöne Überraschungen sorgt, hat mit seinem Gespür für Angemessenheit der instrumentatorischen Mittel gerade hier Auffallendes geschaffen. Naumilkat ist imponierend vielgestaltig in seinen Arrangements. Er arbeitet in dem melodisch schönen „Kiekut“ (was muß man tun für Sinnerfülltheit des Lebens?, was tun, um Spuren darin zu hinterlassen?) mit durchgehend rockig-energischer Klangmassivität (Bläsersatz), kann ganz fein und fragil (mit stimmungsvollem Streicher“flirren“) im Schlaflied „De Maan“ sein oder behutsam einfühlend (liegende Blkäserakkorde, davor abgehoben Gitarre, Streicher) in „De Drömer“, einem leicht melancholischen Sehnsuchtslied…
Daß ich die LP „UTKIEK“ jedermann anpreisen möchte, hoffe ich klargemacht zu haben. Jedem, der diese Platte erwirbt, möchte ich jedoch ans Herz legen, sich diesen Titeln mit wacher konzentrierter Haltung zu nähern, eine andere als diese empfiehlt sich kaum für Lieder, die das Flüchtige, Oberflächliche von sich weisen.
Wolfgang Lange in UNTERHALTUNGSKUNST Heft 2 / 1988